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Vollständige Version anzeigen: Die DDR
Chris
Es interessiert mich ja doch, weil dieses Thema immer wieder hochgekocht wird:

Reden z.B. die etablierten Parteien über die DDR, war der DDR ein fieser Unrechtsstaat. Jeder wurde unterdrückt. Tun, was man für richtig hielt ging nur, wenn man der SED oder der Stasi nahestand. Wer sich nicht linientreu erklärte wurde in miese Jobs abgeschoben, die man nicht wollte. Studieren konnteste sowieso vergessen und auch einen guten Job und Wohnung bekam man nur mit Parteibuch. Eine Diktatur eben, wie sie im Buche steht.

Aber kaum kommt mal das Wort auf unsere Kanzlerin, die angeblich Funktionärin in der FDJ war und nur deswegen an die Akademie der Wissenschaften durfte, wird die DDR plötzlich zu einem Hord der Freiheit. Selbst an der Eliteakademie konnte man gehen, ohne sich irgendwie als mit dem Regime einverstanden zu erklären. Auch attraktive Arbeitsplätze gab es scheinbar ohne SED-Mitgliedschaft.

Ja was denn nun? Was soll man denn glauben? Was kann man denn glauben?
lusch3
Ganz, ganz hoch gings nur mit SED, aber leben ging auch ohne.
Chris
Was bedeutet ganz ganz hoch? Diplom? Promotion? Professur? Vorstand? Posten in politischen Vereinigungen wie FDJ oder Kreisräten? Kannst du das differenzieren?

Und was bedeutet "leben können" - mit dem Traumjob oder Arbeitszuweisung (wie z.B. in Kleinruppin forever dargestellt)?
Tupolev
Soweit ich das von Bekannten weis, konnte man Diplomieren auch ohne SED-Mitglied zu sein.
the ox
Ich stand z.B. vor der Wahl drei Jahre NVA und Studium oder normal NVA und Lehre. Letztlich bin ich dann gar nicht zur Armee gegangen, was ein Jahr vor der so called Wende mit Tricks und Kniffen machbar war. Habe auch mal kurz in einer "Brigade der DSF (Deutsch Sowjetische Freundschaft)" gearbeitet, weil ich aber nicht Mitglied der DSF sein wollte, durfte ich nicht an Bridagefeiern teilnehmen - verschmerzbar.^^

Generell war mein bewußtes Erleben ab Mitte der Achziger, dass es schon Reglementierungen gab, man konnte aber - im Gegensatz zu früheren Jahren - ganz gut seinen eigen Film fahren (sh. lusch3). Z.B. gab es zwar Berlin- oder Alexanderplatzverbot (besonders zur 750 Jahrfeier der Stadt wurde durchgefegt), aber auch besetzte Häuser im Prenzelberg und einen anarchistischen Pogoreigen unterm Kirchendach. Man konnte kurz vor der Wende auch ohne Job (bzw. mit Gelegenheitsjobs) durchkommen, das wurde paar Jahre früher noch hart unter der Rubrik "assozial" unter Strafe gestellt. Kenne diverse Leute die (aus politischen Gründen oder wegen krimineller Veranlagung) zwangsumgesiedelt wurden, inkl. Zwangsjob. Diese Jobs wiederum waren dann immer mit drei Leuten belegt, damit wenigstens immer einer da war. smile.gif

Wenn man ordentlich "Seid bereit" oder "Freundschaft" gesagt hat, war alles drin. Ein Klassenkamerad von mir hat sich zehn Jahre zur Armee verpflichtet, worauf aus der Kopfnote "Betragen: 5" "Betragen: 3" wurde.

Wohnung war generell schwierig. Da ging es aber nicht ums Parteibuch, sondern darum, dass man verheiratet sein sollte. Gerade die gegen die Wohnungsknappheit geschaffenen Neubauwohnungen waren begehrt, da warmes Wasser, Badewanne und Klospülung. Letztere gab es bei uns bis 86 nicht, dafür hat ein ganzes Haus 27 Ostmark Miete gekostet.

Für mich war die DDR schon ein Unrechtsstaat, gottseidank einer ohne Todesschwadrone und ganz harter Unterdrückung. Schönzureden gibt es da aber gar nichts. Allein die Stichworte Mauer und Staatssicherheit reichen aus, damit ich mich nie wieder in diese Zeiten zurückwünsche.
chelys
Roger that. Herausragende Leistungen wurden auch ohne SED-Mitgliedschaft gefördert. Anders verhält es sich, wenn man als "Feind der Republik" eingestuft wurde (was ziemlich einfach war) - Steine in den Weg legen konnte man sehr gut rolleyes.gif

Hinterher ist es schwierig, Mitläufer und Nutznießer des Systems zu unterscheiden. Wer kann schon von sich behaupten, dass er zum eigenen Nachteil gegen den Strom geschwommen wäre.
simpson
das ist interessant smile.gif in der Schule ist die DDR ziemlich an mir vorbeigezogen, da es erst in 13/2 kam, schon Abithemen gewählt waren und alles noch nicht wirklich aufgearbeitet..und das, obwohl ich fast an der Mauer gewohnt habe (Hof)

jetzt lese ich grad Spur der Steine, will ne Hausarbeit drüber schreiben (also die Umsetzung Geschichte/Film)

Ich hoffe hier auch noch bissl Input zu bekommen smile.gif (stichwort Oral History)
cantrella
Also an mir persönlich is das ganze auch vorbei gegangen, da ich zu jung dafür bin und in Geschichte hat die Zeit dafür nicht gereicht. Ich kann aber Erzählungen meiner Eltern und Großeltern weitergeben.

Mein Opa war zum Beispiel Lehrer und damit hätte er eigentlich in der SED sein müssen. Er war das aber damals schon so lange (btw konnte er das noch ohne Studium, sondern über Abendschule werden), dass er sich da geweigert hat und auch genug Unterstützung von seiner Chefin und im Kollegenkreis hatte.

Dazu kam, dass der "Aufpasser" der SED, die ja überall waren um die Linientreue zu wahren, bei ihm ne kleine graue Maus war, und wenn er aufn Tisch gehauen hat, wenn ihm was nich gepasst hat, hat die eher Angst vor ihm bekommen, als da irgendwas zu melden. Im Privatkreis, hat er erzählt, wusste man dann einfach bei wem man vorsichtig sein musste.

Mein Vater zum Beispiel hat sehr viele Steine in der Weg gelegt bekommen. Es fing damit an, dass er die Einladung einer von vielen Leibwächtern Honeckers zu werden (weil er groß und kräftig war) , ausgeschlagen hat, und damit natürlich verdächtig war. Das ist auch der erste Eintrag in seiner Stasi-Akte, die er irgendwann mal eingesehen hat.
Zusätzlich hat er auch noch Konfirmation statt Jugendweihe gemacht, was es ihm eigentlich unmöglich machte Abitur zu machen. Er musste dann erstmal ne Ausbildung zum Schreiner machen, was er gar nich wollte und hat sich da aber so gut gemacht, dass er dann doch fürs Abitur zugelassen wurden.

Um dann zu studieren, musster er sich auch erstma 3 Jahre für die Armee verpflichten und hat dann auch Diplom gemacht, ohne je irgendwie mit der Partei was zu tun zu haben. Andererseits musste man aber schon ständig heucheln, dass man den Staat mag, sonst wärs ganz schnell vorbei. In den Schulen gab es ja "Marxismus und Leninismus" als Fach und da gings nur darum soviel gutes wie möglich über dieses System zu schreiben. Im Studium gabs das dann auch noch (ich glaube aber da hieß das anders) egal was du studiert hast.
tingel
Die CDU hat es sehr gut verstanden, ihre Vergangenheit im Osten als staatstragende Blockpartei unter den Tepich zu kehren.
Zur ersten freien DDR Volkskammerwahl sind die noch mit solchen Sprüchen wie:

"Wer bei der SED vom Stuhle fällt, wird bei der SPD eingestellt, drum wähle auch du CDU!"

ins Rennen gegangen. Das ist eine dreist die Realität auf den Kopf stellende Propaganda. Die Ost - SPD ging im Gegensatz zur CDU aus der Bürgerrechtsbewegung hervor und hat AFAIK keine SED Mitglieder aufgenommen.
Wer es also bequem haben wollte in der DDR, ist einfach in eine Blockpartei eingetreten. So wie unser Ministerpräsident.
Polygon
Ich war zu jung um davon selber noch was mitzubekommen, aber wenn ich mir Bücher wie "Aktenkundig" durchlese, die beschreiben, in welcher Art und Weise "Staatsfeinde" sowohl in der DDR, als auch nach dem Verkauf in die BRD behandelt wurden, dann wird mir klar, dass an diesem System kein gutes Haar zu lassen ist. Ein recht schönes Zitat:

Zitat(Bärbel Bohley)
Am meisten erschüttert die Zerstörung und der Verschleiß menschlicher Gefühle. Hier sind Verrat, Lüge, Untreue, Heimlichkeit, Hochmut, Überheblichkeit, die Lust auf Macht und die Kriecherei, die Angst und die Feigheit belohnt worden. (...) Die Staatssicherheit war der große, volkseigene Zauberer und machte aus Unrecht Recht, aus Angst Mut, aus Lüge Wahrheit, aus Betrug Verantwortung, aus Egoismus Nächstenliebe. (...) Lange habe ich geglaubt, daß die DDR zu reformieren gewesen wäre. Erst die Akteneinsicht hat mich endgültig von diesen Träumen befreit. Ein Staat, der in immer größerem Maße die schlechten Eigenschaften der Menschen als Grundlage seines Bestehens braucht, sie über Jahre züchtet und belohnt, kann sich nicht aus sich selbst heraus erneuern. Das trifft auf jeden Staat zu. Er ist zum Untergang verurteilt.
Socres
also zum thema studieren:

studieren konnte prinzipiell erstmal jeder der nen eos oder vergleichbaren abschluss hatte. dann kamen aber die stolpersteine:

WAS und WO man studieren konnte hing stark von der persönlichen einstellung/mitgliedschaften/religion etc ab

sicher konnte man überleben, das konnte man bei den nazis auch. trotzdem ist eins fakt: die ddr war eine verachtenswerte diktatur und JEDER der sich nicht so verhielt wie es im (partei)buche stand, der hatte mit leichten bis grausamen repressalien zu leben.
(unter repressalie versteh ich bspw auch, daß man an einen stzudienort geschickt wurde wo man garnicht hin wollte obwohl dort noch studienplätze frei waren und dort keine kriterien wie sie bspw bei der studienplatzvergabe jetzt angewendet werden, sondern nach nase entschieden wurde)

die ddr ist immernoch nicht hinreichend aufgearbeitet und wird leider oftmals romantisch verklärt. verbrecher der ddr-geschichte sind immernoch in allen möglichen ämtern zu finden (sogar bis an die spitze sogenannter demokratischer partei(en))

sicher ist es richtig, daß ab mitte der 80er Jahre die menge der leichten repressalien stark zurück gegangen ist, die großen bis grausamen (das schließt entführungen, hinrichtungen und folter mit ein logischerweise wink.gif ) ist allerdings bis zum ende gleich geblieben.
Schlummerpieps
Du musst aber erstmal einen Platz an der EOS gekriegt haben, um den Abschluss machen zu können. Und von der POS durfte nur die zwei Klassenbesten an die EOS. Alle anderen hatten Pech.
Socres
jo das is schon klar, aber zumindest ist hier eine eher leistungs-orientierte auswahl getroffen worden, womit ich noch ganz gut leben kann. daß natürlich bestimmte kinder besser "gefördert" wurden als andere ist die kehrseite der medallie

und natürlich war nach der eos nicht nur nicht klar wo und was sondern oftmals auch noch ob...

aber im "gesetz" stand zumindest jeder der eos war
Gertrud
Kann nur aus meiner Familie erzählen:

Was sicher am Anfang noch strenger - mein Opa durfte nach dem Krieg nicht an der TU-DD Maschienenbau studieren, obwohl er schon eingeschrieben war, da er durch den Krieg als Soldat militärish vorbelastet war und sein Vater auch Offizier war (als Sprengmeister/Feuerwerker).

Is dann halt EOS-Lehrer geworden. Mein Vater is Dipl.-Physiker ohne jemals in der SED gewesen zu sein - aber weiterer aufstieg im Betrieb (Abteilungsleiter, ...) war nicht möglich. Meine Mutter was seid dem Abi in der SED und ist dann 1988 augetreten als der Sputnik verboten wurde. Das hatte aber keine beruflichen Konsequenzen, etc.

Und bissel tricksen musste man schon - die 144m2-Wohnung zu dritt hatten wir auch nur, weil auf dem Papier noch untervermietet wurde und Telefon, weil mein Vater gesagt hat, er hätte Bereitschaftsdienst auf Arbeit (Braunkohle) - was aber nie passierte wink.gif

Ich selber hatte nur mal "Probleme mit dem System", als ich den Vorgeschlagenen Klassenkameraden nicht in den Pionierrat wählen wollte, da er ne Woche vorher einen Direktorentadel bekommen hatte (und von ihm wusste, dass er eigentlich gar keinen Bock darauf hat).

Also ich kann mich privat nicht über meine 11 Jahre DDR beschweren.
Socres
jo also wie gesagt in die sed musste man zum studieren prinzipiell ertsmal nicht... fdj dagegen war schon ein quasi-muss.

telefon hrhr jab das war auch son spaß. in der stadt wars noch, gerade in altbaugegenden, in so weit recht gut verbreitet, als daß es noch einige telefonanschlüsse aus vor-ddr-zeiten gab. (sofern das telefon nach dem krieg nich konfisziert wurde)

man darf auch den militärischen und ideologischen "drill" in kindes und jugendalter nicht vetgessen. das bedeutet pienierscheiß, (apell in der ersten klasse aufm schulhof und solche späße), staatsbürgerunterricht(?) und wehrerziehung.
außerdem "zwangsarbeit" in semesterferien für studenten etc...

viele dinge die heutige sed-pds-linkspartei wählergernmal den nazis als diktatorisches alleinstellungsmerkmal zuschreiben
Chris
Wie ist denn die Mitarbeit und Mitgliedschaft in der FDJ zu bewerten? Und die FDJ und die Übernahme von Ämtern in der FDJ? Wurde man dort auch hineingedrängt wie der Klassenkamerad von Getrud in den Pionierrat?
Socres
also es wurde einem schon nahe gelegt, erstens in die fdj einzutreten (um bestimmte dinge leichter zu erreichen) und innerhalb der fdj wurden dann ämter und aufgaben auch nur eher semifreiwillig verteilt...

Gertrud
Zitat(Socres @ 24 Sep 2009, 18:15)
man darf auch den militärischen und ideologischen "drill" in kindes und jugendalter nicht vetgessen. das bedeutet pienierscheiß, (apell in der ersten klasse aufm schulhof und solche späße), staatsbürgerunterricht(?) und wehrerziehung.
*



also ich bin 1984 eingeschult und bei uns an der georgi-dimitrow-pos war der "ideologische drill" nahe null - na gut apell zu feiertagen, 1.schultag, ... - aber eigentlich fanden wir es cool und wollten auch endlich wie die großen mal das "coole" freundschaft raunen wink.gif

und in meinen zwei(?) jahren als gruppenratsmitglied (wandzeitungsredaktion) war das eigentlich auch sehr chillig und entspannt
SHARK
Scheint fast so, dass diejenigen die gelitten haben, die DDR verteufeln, in allen Facetten. Andere verklären sie romatisch, weil man sich mit den Einschränkungen der damaligen Zeit, sich genauso arrangieren konnte, wie mit den heutigen..
Wage jetzt mal die kühne Behauptung, allen denen es nun deutlich besser geht, inklusive deren Kinder, sehen die DDR als Diktatur (Ziehen sogar Vergleiche mit dem dritten Reich). Oft genannter Fakt - Studieren mit Akademikern als Eltern, nahezu unmöglich. Ist ein absolut negativer Punkt - mit dem hehren Ziel, jeder ist jedem gleich, Vereinigung von Hammer und Zirkel unvereinbar.
Frage: Wie sieht es denn jetzt aus? Rein rechtlich ist es erlaubt. Jeder hat nach dem Gesetz die Chance zu Studieren. Aber ist es auch gesellschaftlich für jeden möglich? Vom familären Chaos bei einigen Akademikerfamilien, wenn der Filius nicht wenigstens das Abitur erreicht, ganz zu schweigen (Wäre insgesamt mal eine Studie wert, wieviel Prozent der Kinder aus unteren bis mittleren Einkommensschichten in Ost und West, den Weg zur akademischen Ausbildung gehen. Und ob sich das seit der Wiedervereinigung gravierend verändert hat.)
Optionsfrage: Ist die BRD eine Diktatur des wohlhabenden Bürgertums? (Stichwörter: Nachhilfe, steigende Zahl von Privatschulen, Auslandsverschickung - vieles davon benötigt einen "relativ" strammen Geldbeutel)

Zweite große Sache: Der Mantel des Schweigens in der BRD. Wo ist hier die tatsächliche Aufarbeitung? Es gibt zahlreiche Institutionen, Firmen, Privatpersonen, Vereine - die eine eindeutig nachgewiesene Verstrickung mit dem dritten Reich hatten. Journalistisch ist das alles aufgearbeitet - aber auch gesellschaftlich? Wo ist hier der konsequente Schlussstrich gezogen worden?
Es gibt zig Sachen, da flattern ein die Ohren - außer einer kurzlebigen Revolte der Kinder gegen die Eltern des dritten Reiches ist wenig passiert. Nur die hohen Granden bzw. die blutrünstigsten Verbrecher wurden tatsächlich korrekt abgeurteilt.
Wenige Kinder haben das finzanielle Erbe aufgrund der Verstrickheit abgelehnt, nur menschlich mit den Eltern gebrochen.
Gerade an diesem Geld klebt doch aber noch immer das Blut von zig tausenden Zwangsarbeitern (der Staat hat hier meist seine Schuld bezahlt, die juristischen Auseinandersetzungen auf dem privaten Sektor waren doch eine Farce).
Es wurde gesellschaftlich ein Schlussstrich aus der Not gezogen, weil sonst ein so schneller Wiederaufbau nicht möglich gewesen wäre (kann man auch in amerikanischen Rückblicken auf die Entnazifizierungszeit nachlesen bzw. gibt es auch darüber hervorragend aufgearbeitetes Material)
Erst kürzlich passend zu diesem Thema aufgetretener Eklat: Filbinger-Trauerrede
(andere Sachen sollen Journalisten immer wieder ansprechen - die sind Prozesse gewöhnt)
Frage: Wie kann ein Teil eines Landes etwas fordern, was er selbst nie konsequent durchgezogen hat?
Optionsfrage: Wiegt die inhaltliche Konsequenz eines "Nie wieder" (und selbst der eingefleischeste DDR-Fetischist möchte eigentlich diesen Staat in Gänze nicht zurück, sondern lediglich Teile davon) nicht schwerer, als die Feststellung, dass G.P. Glücksstadt, aus B. an der S., als Mitglied des bla, Erna K., aus D. an der E. die Ausreise verweigert hat?

Wichtigste Sache: Die DDR war ein SATELLITENSTAAT. Wenn man das Wort Diktatur für die DDR als Staat benutzen möchte, was durchaus mit Abstrichen im Vergleich zu heute existierenden Diktaturen legitim ist, dann sollte man doch wenigstens den Punkt anführen, dass es eine eingerichtete Diktatur war.
Das Gebiet der heutigen neuen Bundesländer war eine BESATZUNGSZONE. Und zwar weil Menschen aus beiden Teilen freudestrahlend und mit einem Juchee auf den Lippen gen Osten, Süden, Norden und Westen gezogen sind.
SIE HABEN VERLOREN - BEIDE.
Einem Teil wurde relativ schnell verziehen, man butterte Geld rein, man machte sie demokratisch, zog Firmen nach amerikanischen Muster hoch, zeigte Unternehmern wie Marktwirtschaft funktioniert (ja, Marktwirtschaft ist kein Kind vom Ehrhard, hunderte Industrielle mussten erstmal die Staaten bereisen, um zu lernen, wie Unternehmungen im großen Stil ohne den Staat überhaupt funktionieren, wie man Nachfrage ohne etwaig bevorstehende Kriege überhaupt generiert) und wie man ja nicht, noch geblendet von der fixen Idee des Nationalsozialismus, der anderen teuflischen Ideologie des Kommunismus verfällt. Ja man erlaubte sogar die Gründung von Vereinen - die in aller Öffentlichkeit über den selbstverschuldeten Verlust ihrer ehemaligen Ländereien rumheulen dürften.
Dem anderen Teil wurde eine in Moskau herangezüchtete Regierung verpasst. Unter dem Deckmantel des selbstgewollten Elends wurden 1 zu 1 Strukturen der Sowjetunion übernommen.
Wer nicht dafür war, wurde ebenfalls nach sowjetischen Muster zum Schweigen gebracht.
In den Jahren nahm man die Härte zurück, jedoch nicht die Richtung (wer immernoch glaubt, es lag nur an den dämlichen Ossis, zu doof für Demokratie und freie Marktwirtschaft - gucke sich doch mal die Aufstände in den sozialistischen Bruderländern an, in der DDR, so hört man vielleicht noch manchmal, solls ja auch mal was Kleines gegeben haben - der eine Feiertag ist jedenfalls nicht als allgemeiner Grilltag etabliert worden, wo man nicht zu arbeiten brauchte).
Frage: Wie hätte jeder von uns damals gehandelt? Mitmachen, Arrangieren, Heimat aufgeben und flüchten?
Die Sowjetunion hat für eine lange Zeit unabänderbare Tatsachen geschaffen, sicherlich mit ostdeutschen Helfern, deren Zahl nach Schaffung der Tatsachen größer wurde, aber denooch hat sie insgesamt über Weh und Amen entschieden (und wenn das ZK noch so selbstbestimmt in den westlichen Medien auftrat).
Ohne Zustimmung der UDSSR hätte es keine Mauer gegeben (auch wenn Ulbricht noch so bettelte - weil die, die es konnten weggingen). Ja selbst die Amerikaner taten doch nichts außer mal Laut geben. Den war doch klar, das ein Exodus im Osten nicht ganz ohne ökonomische und politische Folgen bleiben würde. Ärzte, Akademiker okay, aber was sollten sie denn mit den ganzen anderen anstellen.
Ohne Hilfe des KGB wäre doch die Stasi nicht der absurde Apparat geworden, der er war, ohne die UDSSR hätte es keine Planwirtschaft gegeben.
Wer das alles suspekt findet, sollte sich doch mal mit der ehemaligen Förderation Jugoslawien beschäfftigen - hier gab es nur einen Sonderweg, weil Tito eine solch herausragende Persönlichkeit war, dass die Russen hier nicht ihre Ideologie umsetzen, und er sein eigenes Reich schaffen konnte.
Insgesamt sag ichs mal frei wie in "Die Welle" - unter Umständen wäre in einer anderen Zeit aus jedem der jetzt rumtönt, wie blöd man doch war, hier nichts dagen zu unternehmen, ein "guter" DDR-Bürger oder schlimmer Nationalsozialist geworden.
Soll doch froh sein, wer im Hariboland aufgewachsen ist und sich nicht mit den wenigen Sachen arrangieren musste, die einem nicht genommen werden konnten.
Die WENDE kam erst durch den Umbruch in der UDSSR, auch wenn manch Rundtischler dies heute nicht mehr ganz so sieht, könnte ja die eigene Bedeutung in der Geschichte schmälern.
Beteiligte Russen und Amerikaner lachen sich heute noch kaputt, über die Einfältigkeit von manchen Politikern, die deutsche Einheit sei das Werk einzig und allein der Deutschen.

Letzte Sache: Verdrängung ist eine probate Eigenschaft des Menschen. Nimm doch jeder mal sein eigenes Leben als Beispiel. Wer sich hier mehr an die schlechten Sachen erinnert, soll doch dringend mal zum Psychologen - könnte auf Dauer schlecht für das eigene Ego sein.

Und ja - kacken mit anderen Kindern aufm Gemeinschaftsklo war eine hervorragende Sache, hat richtig schön doof und ungeoistisch gemacht.
Die Brüste meiner Pionierleiterin versetzen mir heute noch das Blut.

Wer nach Vergangenheit fragt, sollte bei Schnittpunkten, und nicht in der Mitte anfangen.
Dann würden sich viele Ostdeutsche bestimmt nicht als Einfältige fühlen, bloss weil sie auch nichts anderes gemacht haben - als LEBEN - Leben in einer vorgegebenen Welt!

Quintessenz dieser Sache: manchen Verlierern geht es schlecht, andere haben einen Benz vor der Tür
lusch3
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DerHUGO
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Socres
Zitat(Gertrud @ 24 Sep 2009, 20:05)
also ich bin 1984 eingeschult und bei uns an der georgi-dimitrow-pos war der "ideologische drill" nahe null - na gut apell zu feiertagen, 1.schultag, ... - aber eigentlich fanden wir es cool und wollten auch endlich wie die großen mal das "coole" freundschaft raunen wink.gif

und in meinen zwei(?) jahren als gruppenratsmitglied (wandzeitungsredaktion) war das eigentlich auch sehr chillig und entspannt
*

klar finden kinder das cool, das is doch der sinn bei der sache... die hitlerjugend hat auch urst coole dinger gemacht. modellboote baun und so.

letztendlich hatte all das nur ein einziges ziel: gleichschaltung um jeden preis
lusch3
Ein Ziel, welches um weniger erreicht wird, je stärker es forciert wird.
SHARK
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Zumal es ziemlich frustierend ist, wenn man monatelang mit der Laubsäge das Balsaholz bearbeitet, schön das Ruder für einen perfekten Geradeauslauf gefeilt und selbst beim Lackieren auf die letzte Nase geachtet hat, und dann bei einem Ost-West-Kräftemessen verliert, weil der "Gegner" eine simple Fernbedienung benutze und man selber nur die "Absetzen und los"-Variante benutzen konnte.

"Der Sozialismus siegt immer" - welch eine bittere Ironie, die man selbst als Lütt begriff

Gleichschaltung - vielleicht in der Theorie - in der Praxis haben doch selbst AG-Leiter (wie heute bekannt ja meist von Horch und Guck) mehr über den Mangel geschimpft, als manch Stino - kann ja sein, dass das eine Strategie aller O'Brien war, doch insgesamt hat es zu mehr "Gedankenverbrechen" geführt, als eine Theorie der Gleichschaltung zulässt

Anderes Beispiel: Lütt sollte als Agitator eine Wandzeitung über die derzeitige politische Lage machen. Jo, Mutter und Vater waren in der Schicht, wie immer eigentlich. Tja, Schere genommen und schön Bilder und Texte ausgeschnitten. Natürlich über den Krieg in Südamerika, wogegen man ja auch Papier und Flaschen gesammelt hat, damit die armen Menschen einen Krankenwagen bekommen, als Flagge gegen die imperialistischen Kriegstreiber. Paar andere Sachen. Ja, und leider, weil gerade Westfernsehen vorsich hin dümpelte, auch ein paar Zeilen, über den Krieg in Afghanistan (jo, den gabs auch schon mal). Für einen friedliebenden DDR-Lütt ja was ganz Schlimmes. KRIEG-NAZIs-INDUSTRIELLE
War eine hypergeniale Wandzeitung.
Tja, Lütt und Vater dürften vor der Direktorin, der Pionierleiterin und unbekannten Herren erklären, wie das denn so gemeint war.
Da ja nichts über etwaige Schuld drin stand, konnte sich insgesamt gut rausgeredet werden (der Lütt in seiner kindlichen Naivität, der Vater mit dem Wiisen um den Lauf des Hasen). Für den Vater war die ganze Sache aber mal gar nicht lustig. War noch eine Stunde länger drin und kam dann ziemlich betröppelt raus.
Ab dem Zeitpunkt musste der Lütt alles immer erst zeigen. Mutter meinte nur: Woher soll ers denn wissen?
Lütt fand dann Zeit seines kurzen DDR-Daseins von gerademal 12 Jahren alles ein bißchen suspekt.
Weil die Wandzeitung war genial, und das was man da so hin geschnippselt hatte, war doch etwas, was man auch mit eigenen Augen gesehen hatte.
Gleichschaltung?
Socres
das alles ist gleichschaltung... die leute sagen in der öffentlichkeit genau das was sie sollen, alles andere wird heimlich gedacht und noch weniger gemacht...

und wenn der vater sich nicht an den lauf des hasen gehalten hätte, sondern völlig ungleichgeschaltet dem schwachkopf von der stasi eine aufs maul gehauen hätte wie ers verdient hat, dann würs mit ner stunde später und bissl bedröppelt och nich getan gewesen
SHARK
einerseits kann ich dich verstehen - andererseits:

Bertolt Brecht
Maßnahmen gegen die Gewalt
(1) Als Herr Keuner, der Denkende, sich in einem Saale vor vielen gegen die Gewalt aussprach,
merkte er, wie die Leute vor ihm zurückwichen und weggingen. (2) Er blickte sich um und sah
hinter sich stehen - die Gewalt. (3) „Was sagtest du?“ fragte ihn die Gewalt. (4) „Ich sprach mich
für die Gewalt aus“, antwortete Herr Keuner.
(5) Als Herr Keuner weggegangen war, fragten ihn seine Schüler nach seinem Rückgrat. (6) Herr
Keuner antwortete: (7) „Ich habe kein Rückgrat zum Zerschlagen. (8) Gerade ich muß länger
leben als die Gewalt.“
(9) Und Herr Keuner erzählte folgende Geschichte:
(10) In die Wohnung des Herrn Egge, der gelernt hatte, nein zu sagen, kam eines Tages in der
Zeit der Illegalität ein Agent, (11) der zeigte einen Schein vor, welcher ausgestellt war im Namen
derer, die die Stadt beherrschten, und auf dem stand, daß ihm gehören solle jede Wohnung, in
die er seinen Fuß setzte; (12) ebenso sollte ihm auch jedes Essen gehören, das er verlange; (13)
ebenso sollte ihm auch jeder Mann dienen, den er sähe.
(14) Der Agent setzte sich in einen Stuhl, verlangte Essen, wusch sich, legte sich nieder und
fragte mit dem Gesicht zur Wand vor dem Einschlafen: (15) „Wirst du mir dienen?“
(16) Herr Egge deckte ihn mit einer Decke zu, vertrieb die Fliegen, bewachte seinen Schlaf, (17)
und wie an diesem Tage gehorchte er ihm sieben Jahre lang. (18) Aber was immer er für ihn tat,
eines zu tun hütete er sich wohl: das war, ein Wort zu sagen. (19) Als nun die sieben Jahre herum
waren und der Agent dick geworden war vom vielen Essen, Schlafen und Befehlen, starb der
Agent. (20) Da wickelte ihn Herr Egge in die verdorbene Decke, schleifte ihn aus dem Haus,
wusch das Lager, tünchte die Wände, atmete auf und antwortete: „Nein.“
[Bertolt Brecht: Gesammelte Werke Bd. 12. Frankfurt (Main) 1967 (=werkausgabe edition
suhrkamp), S. 375f.]

ein Versuch von Gleichschaltung, bedeutet nicht, dass dieser auch erfolgreich ist

genauso, wie jeder Kampf, in einer bestimmten Situation verloren werden kann

das sagt einem natürlich vorher keiner - cest la vie

aber stell dir einfach mal vor, die montagsdemonstrationen hätten 10 jahre eher angefangen, möchte ich mir ehrlich gesagt gar nicht weiter ausmalen (manchmal hat einfach auf die fresse keinen nutzen - ob das abwarten bis zum obligatorischen zerfall eines unsinnigen konstruktes die bessere wahl ist - ist so strittig wie die geschichte vom huhn und dem ei - jedoch zeigt die geschichte ja, das es auch positive beispiele gibt - nun manche entscheiden sich halt für das leben, in hoffnung auf bessere zeiten, gerade mit lütten in der hand)
abadd0n
Zitat(Chris @ 24 Sep 2009, 11:46)
Es interessiert mich ja doch, weil dieses Thema immer wieder hochgekocht wird*

Meinst Du mit "hochgekocht", dass das Thema unnötigerweise aufgewärmt wird oder den Umstand, dass es auch heute aktuell ist und sozusagen noch immer brodelt?

#abd, bewaring of hazard zone*

*Man hat ja gelernt, vorsichtig zu sein.
Chris
Ich mein lediglich, dass es immer mal wieder dazu Diskussionen gibt und ich es nicht einschätzen kann, welchem Standpunkt ich mehr Glauben schenken soll. Bzw. scheinen beide Seiten irgendwie Recht zu haben, und es bedarf - für mich - eine stärkere Differenzierung, wann welche Ansichtsweise greift.
gfx-shaman
leute die behaupten, es gab nichts gutes in der ddr, luegen schlichtweg ^^

eins steht fest, die besten brötchen der welt gab es bei "uns" wink.gif
Chrizzly
Nur ein Hinweis darauf, dass die Aufarbeitung gefährdet ist:
In der Birthler Behörde arbeiten ehemalige Stasi-Leute
Chris
Ach ja die gute Birtler-Behörde. Chronisch unterbezahlt und brisantes Material (z.B. Kohl-Akten) wird geschwärzt bis nichts mehr zu erkennen ist. Da sind die ehemaligen Stasi-Mitarbeiter sicher das kleinste Problem. Aber bitte beim Thema bleiben. Wir wollen hier schließlich wissen, wie stark man die DDR mittragen musste, um bestimmte Dinge zu erreichen.