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post 28 Feb 2006, 17:37
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Zirpende Grille
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Punkte: 3688
seit: 17.06.2004

Anlässlich dieses Beitrages würde ich gern eine Debatte vom Zaum brechen, welche sich mit ebenjener Thematik beschäftigt. Dazu nochmal o.g. Zitat:
Zitat(Kagge MC @ 28 Feb 2006, 11:18)
noexpression.gif Der Ekel wird über die Geilheit siegen
Kehrseite der Emanzipation:
Botho Strauß erkennt als einer der wenigen, wo die wirklich virulente Gefahr liegt
Doris Neujahr

Die Vogelgrippe ist gerade zum richtigen Zeitpunkt eingetroffen. Der Medienbetrieb kann sich an
einem Detailproblem abarbeiten und damit der Mühe entziehen, in die Zukunft zu blicken – in eine
Zukunft, die längst begonnen hat und in der wahrscheinlich Mullahs über die Auslegung des
Grundgesetzes wesentlich mitbestimmen. Überhaupt wird man sich auf Lebensumstände einzustimmen
haben, die heute jenseits des Vorstellbaren liegen. Eine kompakte Religiosität trifft auf ein spirituelles
Vakuum in einer kraft- und „geistlosen Gesellschaft“ (Botho Strauß). Zusätzlich befeuert wird diese
Offensive durch die demographische Entwicklung.

Von Ausnahmen abgesehen, scheuen die Deutschen sich immer noch, den Konsequenzen ins Auge zu
blicken. Zitiert sei aus einer Erwiderung der taz auf Strauß’ vergangene Woche im Spiegel
erschienenen Aufsatz, nicht weil sie so originell und scharfsinnig wäre, sondern weil sie die
vorherrschende Mentalität und den Bewußtseinsstand repräsentativ erfaßt. Nicht „die Deutschen“
stürben aus, heißt es da, sondern bloß die „straßenköterblonden Deutschen“. Zweitens wird die kalte
Freiheit im Säkularen gepriesen, zu der es gehöre, den eigenen Lebensentwurf selbst „ergrübeln“ zu
dürfen. „Jeder muß selbst sein Ding machen.“ Um das Miteinander der Gesellschaft zu regulieren,
genüge die Befolgung einiger Anstandsregeln – als hätten die nicht ebenfalls religiöse Wurzeln, die man
nicht straflos kappt.

Noch immer und trotz allem also: Die Empfindung, als ethnischer Deutscher erblicher Träger eines
Unwerts zu sein, ist so tief, daß sie alle weiteren Überlegungen unterspült. Undenkbar bleibt der
Gedanke, daß das eigene Land mehr sein könnte als eine Immobilie, die beliebig ent- und aufgesiedelt
werden kann, und daß es sich beim Grundgesetz um den manifest gewordenen Willen keines
besonderen, aber eines bestimmten Volkes handeln könnte, den Rahmen für den Fortbestand seiner
kulturellen, politischen und, ja, biologischen Existenz zu setzen. Für die Illusion, politische und
zivilisatorische Standards verstünden sich unabhängig von den Ursprungskulturen derjenigen, die neu
hinzukommen, zahlt das republikanische Frankreich gerade einen hohen Preis.

Das Prinzip Selbstverwirklichung ist noch immer das bestimmende, obwohl die Ergebnisse dieser
Massenbewegung längst skeptisch stimmen. Kaum mehr bleibt übrig davon als die schlagende Formel
Werner Sombarts: „Die höchsten Ideale sind dem Individuum nicht transzendent, sondern immanent;
folglich ist die Haltung des Individuums zum Wert nicht Opfer, sondern Anspruch.“ Dieser Anspruch
erstreckt sich auch auf die deutschen Moralarbeiter im öffentlichen Raum. Kaum einer von denen
nimmt Opfer auf sich, um seinen Werten Geltung zu verschaffen, sondern der Staat, die Gesellschaft
sollen zahlen, damit sie selber sich als guter Mensch produzieren und so ihr Auskommen sichern
können. Sein vollendetes künstlerisches Äquivalent fand dieses Prinzip in den deutschen
Beziehungskomödien, die nicht ansatzweise erahnen ließen, daß Kunst einmal Ausdruck des Sakralen
und Chiffre der Transzendenz war: ephemere Abbilder eines entleerten Landes.

Eine Gesellschaft, die die Erfüllung der privaten Späßchen und persönlichen Lüstchen so konsequent in
ihr Wertzentrum gestellt hat wie die deutsche, ist zur Wahrnehmung ihrer Situation und zur Umkehr
vielleicht gar nicht mehr fähig. Dekadenz ist ja nichts anderes als das grandiose Verfehlen der
geschichtlichen Situation.

Dazu eine Beobachtung in der Berliner U-Bahn: Zwei türkische Jugendliche, der eine etwa 14, der
andere 16 Jahre alt, allem Augenschein nach nette Jungs, starrten auf einen der Fernsehschirme, die
im Wageninneren angebracht und von einer Boulevardzeitung angemietet worden sind. Die beiden
beschäftigt die Nachricht, daß eine semiprominente Schauspielerin unzufrieden sei mit ihrer Oberweite,
daß sie sich einer Schönheitsoperation unterziehen und ihre Silikonimplantate über e-bay versteigern
wolle. Der Jüngere versteht nicht vollständig, worum es geht, worauf der Ältere ihm die Sachlage wort-
und gestenreich erläutert. Auf ihren Gesichtern liegen Geilheit und Ekel, der aus einem anerzogenen
religiösen Tabu herrührt, im Widerstreit.

Wer möchte behaupten, daß in diesem Konflikt zwischen westlicher Moderne und Traditionalismus die
Vorteile automatisch auf Seite des Westens liegen? Es ist vorstellbar, daß die beiden Jungs die
Freiheiten, die die Gesellschaft zur Triebbefriedigung einräumt, bald für sich nutzen. Fast undenkbar
aber scheint es, daß sie den Respekt vor den Werten dieser Gesellschaft je lernen. Dazu müßten sie, so
vorhanden, in anderer Weise sichtbar werden.

Haltlose Individualisten werden zu Desintegrierten

Noch pflegt die deutsche Mehrheitsgesellschaft auf Abruf den Mythos des modernen Individuums, das
„autonom“ und gleichzeitig „integriert“ ist. Die Kehrseite der Emanzipation von traditionellen
Gemeinschaften ist aber eine wachsende Abhängigkeit vom Staat, von seinen Sicherheits- und
Sozialsystemen. In dem Moment, da diese kollabieren, werden die im Wortsinne haltlosen
Individualisten sich als die wirklichen Desintegrierten herausstellen. Vielleicht werden sich in Erkenntnis
dieser Gefahr ein unerwartete Bewußtseinswandel, eine neue Spiritualität und Geistigkeit ergeben, man
möchte hoffen, daß sich Botho Strauß’ Hoffnung auf ein „globales Toledo“ mit „westöstlichen Synergien“
zwischen den Kulturen erfüllt. Doch davor wird eine Phase heftiger Verwerfungen liegen, für die wir
heute keine Begriffe haben, auf die wir überhaupt nicht vorbereitet sind.

In Deutschland wird die von wenig Schwäche und Zweifeln angekränkelte Masse junger „Migranten“
ihre Ansprüche an den Staat unmißverständlich formulieren, und die politische Klasse, die ihn sich zur
Beute gemacht und deren Fahrlässigkeit eine entscheidende Ursache gesetzt hat für das Anwachsen
eines potentiellen, ethnisch definierten Sozialmobs, wird entsprechend reagieren, um an der Macht zu
bleiben.

Was kommt, deutet sich in der Einbürgerungskampagne des rot-roten Senats in Berlin an, die sich an
muslimische Jugendliche mit dem besonderen Hinweis wendet, daß bis zum 23. Lebensjahr kein
selbständiger Lebensunterhalt nachgewiesen werden muß. Die Angesprochenen werden mehrheitlich
auch nach dem 23. Geburtstag Dauergäste des Sozialstaats bleiben. Aber sie werden als Wähler in das
politische Leben eingreifen und die politische Klasse bestätigen, jedenfalls solange sie sie brauchen, um
ihre Ansprüche auf Kosten und durch Enteignung der alternden Stammbevölkerung zu befriedigen. Es
geht um Religion, Kultur, um Macht und Geld, um Zukunft. Es geht um alles. Doch erstmal erregen wir
uns über die Vogelgrippe.

blink.gif
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Es ist kein Narr der Possen reißt und auch kein Narr der Unsinn spricht.
Der wahre Narr ist der, der meist nur staunt und blinden Glaubens ist.
Eichenschild
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sQeedy   Gesellschaftsdebatte   28 Feb 2006, 17:37
Pusteblumenkohl   Hmm. Lauwarm aufgekochte Kohlsuppe mit fadem Nac...   28 Feb 2006, 20:00
Pusteblumenkohl   @sQeedy: *klopp* Manno. :weeping: Niemand verst...   06 Mar 2006, 02:21
Pusteblumenkohl   OT: Ich beweg das Thema mal wieder nach oben. Ich ...   07 Mar 2006, 00:00
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