Monika Hertwig,
Tochter des KZ-Kommandanten Amon Göth

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NS-Verbrechen

Den charmanten Sadisten entlarven

Von Simone Kaiser

25. März 2005 LUDWIGSBURG.
Die Karteikarte mit der Aktennummer 6 AR-Z 225/1959 ist vergilbt. Zusammen mit 700000 anderen Karten füllt sie die grauen Metallkästen in der Zentralen Stelle des Bundesarchivs in Ludwigsburg, eine ganze Wand lang. Alphabetisch sind sie hier geordnet: Täter, Opfer und Zeugen nationalsozialistischer Verbrechen. Auf Nummer 225/1959 steht: "Name: Amon Leopold Göth; Dienstgrad: SS-Hauptsturmführer; Funktion: Kommandant des Konzentrationslagers Krakau-Plaszow ab 1943." Zusatz: "G. wurde am 13. 9. 1946 in Krakau hingerichtet." Amon Göth, der "Schlächter von Plaszow", ist Sinnbild des sadistischen KZ-Kommandanten, seit ihm Ralph Fiennes in dem Film "Schindlers Liste" ein Gesicht verlieh.

Überlebende von Plaszow sagen, Monika Hertwig sehe ihrem Vater sehr ähnlich. "Manche erschrecken noch heute, wenn sie mich sehen." Die große Frau mit der mädchenhaft schlaksigen Figur hat ein harsches Gesicht. Die Falten stammen nicht vom Lachen. Der Blick ist prüfend und durchdringend. Vor ihr liegen drei daumendicke Kladden und ein in Frakturlettern beschrifteter Aktenordner, gesammelte Zeugenaussagen gegen ihren Vater. Seit vier Stunden liest sie sich durch die Vergangenheit.

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Monika Hertwig wurde im November 1945 geboren. Ihren Vater hat sie nie gekannt. Er lebte für sie nur in den Erzählungen ihrer Mutter Irene Kalder. Oskar Schindler hatte seine attraktive Sekretärin mit dem aufstrebenden SS-Mann in Krakau bekannt gemacht; mitten im Krieg wurden die beiden ein Liebespaar. Zwei Jahre nach Göths Hinrichtung bat Irene Kalder die amerikanischen Behörden, seinen Nachnamen annehmen zu dürfen: Nur die Wirren am Ende des Krieges hätten eine Hochzeit verhindert. So ist auch Monika Hertwig zunächst eine geborene Kalder; erst 1947 nahm das minderjährige Kind automatisch mit der Mutter den Namen Göth an. Wörter wie "Konzentrationslager", "Juden", "Plaszow" kamen in den verklärten Erinnerungen ihrer Mutter nicht vor. "Grimms Märchen waren nichts dagegen", sagt Monika Hertwig und schlägt mit der Faust auf den Tisch. "Unglaublich."

Die Nachkriegskindheit Monika Hertwigs, die heute im bayerischen Weißenburg lebt, war typisch in ihrem Schweigen: Weder in der Familie noch in der Schule wurden nationalsozialistische Verbrechen zum Thema. Der Vater? Heldenhaft als Soldat gefallen, Punkt. "Zu Hause haben meinen Vater alle geliebt", sagt Monika Hertwig. Nie sei ein böses Wort über "den Mony" gefallen. Und "die Moni", so der Rufname der kleinen Monika, erfuhr nichts. "Der war für alle, selbst für seine erste Frau, die er für meine Mutter mitten im Krieg hat sitzenlassen, ein Heiliger." Vor allem ihre Mutter habe diesen Mann geliebt, abgöttisch.


Für Monika Hertwig blieb wenig übrig. Dem schwarzen Pudel und Rhett Butler schenkt Irene Göth mehr Aufmerksamkeit als ihrer eigenen Tochter. "Ich war für meine Mutter ein permanenter Störfaktor - nicht so sehr, was Männer, sondern vielmehr, was das Leben insgesamt betrifft." Das Kind behindert die fidele Lebefrau in ihrem Münchner Alltag zwischen Büro und Party. Aber so sei das eben gewesen, sagt Monika Hertwig heute. Das waren damals schwere Zeiten für ihre Mutter. Verdient es eine Frau, die sich auf dem Balkon der Lagervilla mit Freundinnen sonnte, während ein paar Meter weiter Unschuldige starben, so in Schutz genommen zu werden? "Meine Mutter hat nie jemandem ein Haar gekrümmt!" Das hätten ihr alle Überlebenden versichert. "Aber daß sie nie etwas gegen das Morden unternommen hat", sagt sie, und ihre sonst so kräftige Stimme wird leiser, "das werde ich nie verstehen."

Um die Heranwachsende kümmert sich hauptsächlich die Großmutter. Monika Hertwig beschreibt es heute als "eine Art emotionale Adoption". Nach einem heftigen Streit läßt Irene Göth 1965 ihre Tochter unter dem Hinweis auf einen angeblichen Selbstmordversuch in eine geschlossene Anstalt einweisen, für drei Monate. Die Nacht in der Zwangsjacke hat ihr Monika Hertwig nie vergessen. "Ein Denkzettel", so die schlichte Antwort ihrer Mutter. Mit dreizehn Jahren flieht Monika Hertwig vor den Launen ihrer Mutter in ein Klosterinternat, mit 26 Jahren in eine unglückliche Ehe. Der Mann mißhandelt sie.


Anfang der achtziger Jahre, gerade war das Buch "Schindlers Liste" erschienen, reist ein Kamerateam der BBC nach München. Irene Göth spricht "for the first time about Amon and the jews". Am darauffolgenden Tag bringt sie sich mit Schlaftabletten um. "Sie wußte: Jetzt kommt alles raus." Wie die meisten Menschen um sie herum, so erfuhr auch Monika Hertwig erst durch das Buch und den später gedrehten Spielberg-Film von dem Ausmaß der Taten ihres Vaters. Aber natürlich habe es Andeutungen gegeben. Aus der Großmutter preßt sie, hinter dem Rücken der Mutter, als Teenager ein "Dein Vater war bei der SS", später ein "Er war Kommandant eines Arbeitslagers in Polen" heraus. Und die Versicherung: "Aber Plaszow war kein Vernichtungslager!"

Dann trifft sie Manfred, den Wirt der Kneipe "Bungalow" in der Türkenstraße in München, auf dem Arm eine tätowierte Nummer. "Ich habe so lange gebohrt, bis er mir sagte, in welchem Lager er war." Monika Hertwig wirkt noch heute ganz aufgeregt, wenn sie den Augenblick schildert, als der Überlebende sagt: "Kennst du sowieso nicht, Kleine, das hieß Plaszow." - "Na, Gott sei Dank, ja dann ging's dir ja gut!" - "Wie kommst du denn darauf?" - "Na, da war doch mein Vater!" - "Dein Vater?"


Und Monika Hertwig erzählt, wie sie ihm den Namen Göth nennt und Manfred nur verständnislos den Kopf schüttelt. "Aber dann kannst du ja gar nicht in Plaszow gewesen sein, wenn du nicht mal den Kommandanten kennst!" Stille. Ganz bleich sei er geworden. Zitternd habe er gefragt, ob sie etwa "den Get" meine, so die polnische Aussprache des Namens mit dem ungewohnten Umlaut. "Aber Manfred, der hieß Gööth!" Manfred starrt sie nur noch ungläubig an. "Dieser Mörder!" Monika Hertwig schickt er nach Hause. "Ich hab' ein Recht, etwas zu erfahren." - "Das kann schon sein. Aber ich erzähl' dir nichts. Du bist zu jung. Du kannst nichts dafür." - "Wofür?"

Noch heute ist Monika Hertwig, fast 60 Jahre alt, auf der Suche nach der Wahrheit. "Wenn mir diese schrecklichen Dinge nur erzählt werden, kann ich es nicht glauben." Fast entschuldigend fügt sie hinzu: "Es ist schon krankhaft, aber man baut über die Jahre einen unglaublichen Selbstschutz auf." Erst wenn sie hier sitze und die Fakten selbst lese - "dann kann ich es auch vor mir selbst nicht mehr leugnen".


Der Weg durch die Archive ist für die Tochter des KZ-Kommandanten lang und beschwerlich. Ihr zweiter Ehemann hat sie vor Jahren dazu ermutigt. "Ich lebe viel in der Vergangenheit." Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen ist noch immer ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Gerade hat sie Unterlagen der Berliner Gauck-Behörde angefordert. In Ludwigsburg hat sie die Übersetzung der Anklage und Urteilsschrift gegen ihren Vater angefordert und Einsicht in die Vernehmungsprotokolle der wichtigsten Zeugen.

Die Akten über Göth sind ein exemplarisches Bruchstück dessen, was in der Außenstelle des Bundesarchivs dokumentiert ist. Hier sind Akten aus etwa 100000 Ermittlungsvorgängen und 7500 Vorermittlungsverfahren der deutschen Nachkriegsjustiz zugänglich; allein die Auschwitz-Verfahren füllen 180 Bände. Zu Beginn sei es eine einzige Qual gewesen, zu suchen und nachzulesen, erzählt Monika Hertwig. In der Nacht vor einem Archivbesuch habe sie stets wach gelegen. Die Angst vor dem, was sie als nächstes über ihren Vater erfahren könnte, ließ sie nicht schlafen. Die Aufregung legte sich mit jeder Stunde über den Papieren. Es beruhigte sie, ein wenig mehr von der Wahrheit zu wissen.

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Fünfhundert Menschen soll Amon Göth eigenhändig ermordet haben, Männer, Frauen, Kinder, bei der Räumung des Krakauer Gettos, später dann im Lager Plaszow. Am liebsten tötete er morgens, zielte mit seinem Gewehr vom Balkon der Lagervilla und erschoß willkürlich Lagerinsassen. In dem Konzentrationslager, aus dem Oskar Schindler jüdische Arbeiter für seine Emaillewarenfabrik rekrutierte, war Göth Herrscher über Leben und Tod. Eine ehemalige Gefangene habe ihr einmal gesagt: "Der Göth konnte besser sein als Gott und schlimmer als der schlimmste Teufel."

Wenn Monika Hertwig im Lesesaal in den Akten blättert, wickelt sie ihre dunklen, lockigen Haare um den Zeigefinger. Die Übersetzung einer Zeugenaussage im Prozeß gegen Amon Göth - "unglaublich", sagt Monika Hertwig und zitiert: "Während dieser Zeit sperrte Göth abermals die Ehefrau und Tochter des Ingenieurs Grünberg ein. Im Herbst 1943 traf ich Ingenieur Grünberg, als er sichtbar blutunterlaufen und weinend von Göth zurückkehrte. Im Gespräch mit mir bat er um Gift, denn der Schuft und Sadist Göth mißhandele ihn unwahrscheinlich und schlage ihn mit der Peitsche, besonders ins Gesicht. Er sagte mir ebenfalls, daß er kurz zuvor Göth gebeten habe, ihn zu erschießen, worauf er die Antwort erhalten habe, daß er ihn im Moment noch brauche, aber er werde ihn erschießen, wenn er die Zeit für gekommen halte."


Monika Hertwig sagt, es treffe sie immer wieder, wie ihr Vater die Menschen getäuscht und für seine Zwecke benutzt habe. Sie schüttelt den Kopf. "Er wollte sich einfach nur bereichern." Einmal sei er ja wegen Veruntreuung inhaftiert worden. "Er hätte nicht einen einzigen Menschen erschießen müssen." Für ihre Mutter Irene, die mit dem Kommandanten die Villa auf dem Lagergelände bewohnte, sei Göth, der gebürtige Wiener, immer kultiviert, ein Mann mit Manieren gewesen - einfach charmant. "Aber er war ein Sadist! Er hatte Freude am Töten! Was soll ich mit einem charmanten Sadisten?" Sie hoffe, daß man noch viele Täter von damals finde und sie vor Gericht stelle. "Die sollen büßen!" Bis zu diesem Satz war es auch für sie ein langer Weg.

"Ich kann nichts ungeschehen oder wiedergutmachen. Aber ich kann den Überlebenden zeigen, daß ich das Leid der Menschen begriffen habe." Sie wisse, daß nur das auch den Opfern helfe. In den vergangenen Jahren hat sie sich mit ehemaligen Überlebenden von Plaszow getroffen. Sie ist mit ihnen zu Gedenkstätten gereist, nach Jerusalem, und hat ihnen Briefe geschrieben. Mit einigen ehemaligen Häftlingen verbindet sie heute Freundschaft. Ein Freund namens Jan aus Israel, der auch bei ihrem Vater im Lager war, habe zu ihr gesagt: "Monika, daß ich dich kenne und weiß, daß du nicht bist wie dein Vater, hilft mir, mit meiner eigenen Vergangenheit fertig zu werden." Die Zuneigung Jans habe ihr Kraft gegeben. Die Suche nach der Wahrheit lohne sich.


Monika Hertwigs Enkelsohn, der bei ihr aufwächst, soll nicht mit Lügen leben müssen. Seinem Alter entsprechend will sie ihm alles, was sie über seinen Großvater herausfand, erzählen. Die Schonungslosigkeit Monika Hertwigs gegen sich selbst berührt auch die Archivangestellten in Ludwigsburg. Man spürt, daß ihre Worte ernst gemeint sind. "Leute wie ich müssen eine Meinung über diese Verbrechen haben." Man müsse sich von Kinderträumen verabschieden und erwachsen werden. "Auch ich hätte so gern einen Vater gehabt, der nett war."

Text: F.A.Z., 24.03.2005, Nr. 70 / Seite 7
Bildmaterial: F.A.Z. - Foto Wolfgang Eilmes, picture-alliance / dpa

Quellen: Faz.net