Arbeit macht Arbeit

Review zur Lesung *Arbeit ist nicht Alles* von Michael Bittner und Udo Tiffert am 21.04.2010 in der Galerie Treibhaus


Eine eher kleine und illustre Runde hat sich in der Galerie Treibhaus eingefunden, das macht aber nix, denn die Stimmung ist gut und das Thema der Lesung verspricht Spannendes: es geht um Arbeit.

Arbeit, das allgegenwärtige Ärgernis, welches den gemeinen Bundesbürger auf vielfältige Weise zu beschäftigen weiß. Hat man welche, muss man dieser und der daraus resultierenden Beschneidung der eigenen Freizeit Herr werden. Hat man keine, darf man sich in Bemühungen ergehen, diesen gesellschaftlich unerwünschten Zustand zu beseitigen und sieht sich hierbei mit allerlei Stolpersteinen und dem fragwürdigen Serviceverständnis der Agentur für Arbeit konfrontiert. Dass Arbeit aber noch einiges mehr sein kann als nur zum schnöden Broterwerb zu dienen, zeigt die unterhaltsame und dabei tragisch realistische Lesung der beiden Autoren Bittner und Tiffert.

So erinnert sich Bittner in seinem ersten Text "Arbeit" dann auch seiner ersten Begegnung mit dem harten Arbeitsalltag im Rahmen eines Schulpraktikums, aus welcher er die Erkenntnis mitnahm, dass Arbeit im seltensten Falle "freudvolle Selbstverwirklichung" bedeutet.

Udo Tiffert zieht nach mit dem Text "Guido muss reden", einer Hommage an unseren Bundesaußenminister. Dessen These "Der, der arbeitet darf nicht weniger haben, als der der nicht arbeitet" wird am Beispiel des Kindermärchens "Frau Holle" vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen hinterfragt. Im Ergebnis haben wir nun die Goldmaries, "das sind die mit mehr Euros und Biotech-Aktien" und zwei Gattungen Pechmaries - die, die nicht arbeiten und Hartz IV beziehen und die, die arbeiten und trotzdem Hartz IV beziehen. Dass Guido nun redet und redet und sein seltsam anmutendes Kauderwelsch über Deutschland ausschüttet wie Frau Holle ihre Betten muss man verstehen, immerhin hat er Schlimmes erlebt in seiner kurzen Zeit als Außenminister - das muss man ja auch erstmal alles irgendwie verarbeiten.

Weiter geht es mit einem anderen "Märchen", wie Michael Bittner auf meine dunkle Vergangenheit als ARGE-Häscherin anspielend augenzwinkerd verspricht: "Die Liebe in Zeiten des Förderns und Forderns" berichtet vom Erfindungsreichtum eines Liebespaares, ihr Zusammenleben zugunsten eines finanziellen Vorteils nach außen hin zu platonisieren, kritisch beobachtet und verfolgt vom "nie geschlossenen Auge der Fallprüfung" in Gestalt meiner fiktiven Ex-Kollegin Frau Hartmann. Deren Darstellung ist erschreckend wenig märchenhaft - mit Hilfe von Stöhnprotokoll führenden Nachbarn, eigener Stasi-Vergangenheit und kernigen Kommentaren wie "Ich pflege im Privatleben keinen Kontakt zu Sozialschmarotzern" gelingt es ihr schließlich, das Paar zur Kapitulation und letztlich zur Trennung zu bewegen. Nach wohlwollender Würdigung der schauspielerischen Leistung konstatiert sie schließlich ohne Mitleid: "Liebespaare gab es früher, heute gibt es Bedarfsgemeinschaften."

Im Anschluss widmet sich Tiffert in seinem Text "Freiwillige Demenz" der Frage, ob es in Zeiten des Absicherungswahns und des Sichabhängigmachens von Zahlen und Fakten vielleicht gar nicht immer nur um Geld geht, sondern ein sich Konzentrieren auf ein helfendes Miteianander viel von der sozialen Kälte nehmen kann, die hierzulande Einzug erhalten hat.

Über mögliche Konsquenzen des Modebegriffs "Outsourcing" spekuliert Bittner in seinem nächsten Text und malt eine düstere Zukunft, in welcher man seine Brötchen bald beim Fleischer und sein Bier beim Bäcker käuflich erwerben kann, wohingegen man einen Brief schneller selber beim Empfänger abgegeben als das zuständige Postamt erreicht hat. Mit Spannung sehe ich vor allem der tatsächlich diskutierten Privatisierung der JVAen entgegen - inwieweit wie von Bittner vermutet hier Hotels zuschlagen werden bleibt abzuwarten, aber man darf tatsächlich Schlimmes erwarten. "Ihre Arbeit muss sich wieder lohnen" fordert unterdessen Radiogesicht Westerwelle und auch da rechnet man mit vielem, aber nichts wirklich Gutem.

In Udo Tifferts auflockernden aber nicht minder ernsten Liebesgeschichte über "Frauke und Hans im Glück" spielen Arbeit und deren Ausformung in der heutigen Zeit eher im Hintergrund eine Rolle für das Zusammenfinden zweier Menschen - eine Geschichte die gleichermaßen erheitert wie betroffen macht ob ihres subtilen Humors und ihrer Nüchternheit.

Es folgen die Ergebnisse einer fiktiven Umfrage zum Thema "Was ist Arbeit". Zu begeistern vermochten vor allem die physikalische Erklärung "Kraft x Weg - Auf Arbeit angekommen ist man schon erschöpft" sowie die waghalsige These Arbeit sei "was für Leute, die sonst nicht wissen wie sie den Tag rumkriegen sollen".

Letztmalig an diesem Abend erfährt unser Außenminister in Michael Bittners Text "Die rote Gefahr" Würdigung für seinen mutigen Kampf gegen den Sozialismus, welchen er als Einziger als die Wurzel allen Übels erkannt hat.

Udo Tiffert widmet sich im Text "Immer Zeit für den Hehler", einem Telefonatsmittschnitt, dem Thema Vorratsdatenspeicherung auf derart erbauende Weise, dass man den Beteuerungen "Es gibt keinen Grund zur Sorge" schon fast geneigt ist, Glauben zu schenken und zieht nach mit der Vorlesung "Ich schiebe Frust, also bin ich". Leben und Werk des bekannten Philosophen Winfried L. Arbeit, geboren 1894 in Potsdam oder möglicherweise auch anderswann und anderswo "als neuntes Kind eines Steuereintreibers und deren leiblicher Schwester" werden hinsichtlich ihrer Bedeutung auf das heutige Disaster beleuchtet. Folgt man seiner These "Trauer macht uns reicher, gute Laune führt zu nichts!" empfiehlt Tiffert einen Ausflug in den örtlichen Einzelhandel mit dem Hinweis, man wolle sich nur mal umsehen.

Bittners letzter Vortrag zum ihm unbekannten Begriff "Prokrastination" beschreibt den Versuch der Ergründung dieses Terminus Technicus, was jedoch durch erfolgreiche Anwendung eben dieses letztlich verhindert wird. Da sitzt man dann da und grinst und fühlt sich ertappt und freut sich, was Bittner an einem Tag alles schafft ohne zu schaffen, was er schaffen wollte - und am Ende dann irgendwie doch.

Die Lesung endet mit Tifferts Text "Dich könnte ich jeden Tag sehen", ein Regelbruch in einer Beziehung, der es erneut schafft, ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern und einen schmalen Lichtstrahl an den Horizont - gibt es wohl wie von Tiffert konstatiert verschwindend wenige Menschen, zu denen man diesen Satz tatsächlich sagen möchte - zur Arbeit möchte man das sicher nicht.

Ein erbaulicher, amüsanter Abend, der Anlass zum Nachdenken und weiteren Diskussionen gab (die dann andernorts auch tatsächlich noch stattfanden) und gleichzeitig die Erkenntnis brachte : Arbeit macht Arbeit - und das muss noch lange kein Grund zum heulen sein.